Ja, ich gebe zu, das ist was für Liebhaber. Cyanotypien sind nicht jedermanns Sache. Ich mag auch nicht alle. Aber die historischen Arbeiten, wie zum Beispiel die Photographs of British algae: cyanotype impressions von Anna Atkins (1799–1871) in der New York Public Library kann ich mir stundenlang ansehen. Für andere sicher todlangweilig.
Ihre Schöpferin nutzte 1843 die damals noch ganz junge Erfindung von Sir John Herschel (1792–1871). Sie hatte sicher nicht im Sinne, Kunst zu erschaffen. Der Amateur-Naturforscherin ging es vielmehr um die möglichst naturgetreue Darstellung von Formen der Natur – Algen in diesem Fall. Nicht mehr und nicht weniger. [1]Für Farbe reichten die fototechnischen Voraussetzungen damals – in den 40er Jahren des 19. Jahrhunders – noch lange nicht. Herschels Cyanotypie war erst das dritte fotografische Verfahren überhaupt.
Dennoch gehen die Ergebnisse über das Zweckmäßige und Dokumentarische hinaus. Sie sind auch schön.
Mich fasziniert zum einen die fokussierte Einfachheit, die Konzentration auf Form und Struktur. Herschels bzw. Atkins Cyantopien nehmen Teile der ästhetischen Moderne vorweg, obwohl sie genau das nicht sind. Man darf nicht übersehen, dass wir es mit einigen der ersten fotografischen Arbeiten überhaupt zu tun haben. Dass hier weder Kamera noch Objektiv oder ein filmisches Medium beteiligt sind, ist dafür unerheblich.
Allein die Möglichkeit, realistisch und direkt aus der Natur übernommen Transparenz darstellen zu können, muss ein gefühltes Wunder für de ersten Anwender gewesen sein.
Das Schöne ist: Wie zu Zeiten Herschels und Atkins lassen sich solche Drucke noch immer herstellen. Als Edeldruckverfahren sind Cyanotypien immer noch in Gebrauch. Heute muss man nicht – kann aber – mühsam Papier mit Kaliumhexacyanidoferrat(II) (gelbes Blutlaugensalz) und Ammoniumeisen(III)-citrat oder einem anderen Eisensalz beschichten, um Bilder in Preußisch Blau zu erzeugen. Merke: Silber war nicht beteiligt. Übrigens: Die bekannte Blaupause aus Technik und Architektur ist im Grunde nichts anderes.
Es gibt für kleines Geld zum Beispiel Solar-Fotopapier, mit dem man leicht erste Versuche durchführen kann. Da das Verfahren unkompliziert und gesundheitlich unbedenklich ist[2]Die »Entwicklung« und Fixage finden in Wasser statt., können auch Kinder ihre Kreativität damit ausleben.
Gräser, Blätter, Federn, Alltagsgegenstände – die Möglichkeiten sind unendlich. Ich denke, meine Enkelkinder haben sicher auch Lust dazu. 😉
Da aber auch eine üppig ausgestattete Dunkelkammer zur Verfügung steht, wären auch Versuche mit händisch optimierten Emulsionen auf diversen Trägerpapier möglich. Selbstverständlich auch »richtige« Belichtungen von Großformatnegativen – Blattware bis 18x24 cm hätte ich da. Diverse einfache Methoden zur Tonung bzw. Kontraststeigerung stehen ebenfalls zur Verfügung. Dann ist es allerdings nicht mehr ganz so ungefährlich.
Herschel hat sicher nicht geahnt, dass sein Verfahren auch 150 Jahre nach ihm noch Bewunderer findet. Der Grund dürfte in dem alten Satz liegen: Alle genialen Dinge sind einfach.