Bis vor einigen Jahren habe ich viel und gern auf der Straße fotografiert. Auf Film, versteht sich. Fast immer hatte ich eine (meist) kompakte Kamera dabei. In der Mittagspause, auf dem Weg von und zur Arbeit. Auf Reisen sowieso. Oft war es meine Yashica T4 mit dem exquisiten Carl Zeiss 3.5/35 Tessar. In den vergangenen Jahren war meistens die Bessa R3M mit dem 50er Heliar meine Kamera to go.
Als ich noch auf Deviantart aktiv war (bis 2011), gab es dort eine ganze Reihe von Leuten, die es wirklich drauf hatten. Chris Weeks (USA) oder Billy Reeves (Australien) oder Seamus Travers (Irland), um nur einige zu nennen. Damals habe ich auch einen bescheidenen Beitrag zu dem Klassiker »Street for the Purist« (PDF, 160 Seiten) geleistet.
Dass Street nicht mehr unbedingt mein bevorzugtes Genre ist, hat mehrere Gründe. Einmal bin ich schlicht nicht mehr soviel unterwegs. Schon gar nicht in Städten. Zum anderen wurde Street-Photography irgendwann hip. Und wenn etwas hip wird, ist es meistens ziemlich bald kaputt. Dann befindet man sich im Nu in bester Gesellschaft mit haufenweise Wannabes. Das ist nicht so meins.
Wie auch immer. In meinem Archiv gibt es eine ganze Reihe von Bildern, die ich – in aller Bescheidenheit – für präsentabel halte. Es wäre einfach, eines aus New York City oder Amsterdam oder Peking für diese Reihe auszuwählen. Aber ich habe mich für eines entschieden, das in meinem Heimatort Detmold entstanden ist. Detmold ist formal eine Stadt, aber keine große. Selbstredend kommt man wahrscheinlich in Paris oder London eher zum Ziel. Dennoch gab und gibt es auch in kleineren Orten Möglichkeiten für Street-Photography.
Als sich vor meinen Augen diese Szene entwickelte, saß ich wie so oft im Eiscafé am Marktplatz und trank einen Kaffee. Ich musste nichts tun, nur warten und schauen. Links von mir weitere Tische. Gegenüber das Kaufhaus Sonntag und eine Boutique.
An der Ecke, auf dem Boden, sitzt ein Odachloser mit seinem Hund und spricht mit einer Passantin. Links einer der ständig in der Stadt anzutreffenden Menschen. Ich habe ihn selten sitzen gesehen. Meistens rannte er herum, machte sich auch im Café nützlich.
Und dann ist da diese Frau am rechten Bildrand. Man könnte denken, ich hätte sie in der Bewegung festgehalten. Aber so war es nicht. Ich habe sie nicht »eingefroren«. Sie stand dort eine ganze Weile, einfach so, als müsste sie nachdenken. Sicher mehrere Sekunden. Mitten auf der Langen Straße.
Alle diese Leute sind durch Bildlinien miteinander verbunden. Sie bilden für einen Moment eine Gemeinschaft, haben so eine volatile Beziehung.
Und dann sind da noch die Figuren, die man leicht übersehen könnte. Die Schaufensterpuppen, die sich vorzubeugen scheinen, um besser sehen zu können, was da vor ihren Augen passiert.
Und dann war da noch ich. Als Randfigur. Ich musste nicht mehr tun, als den Moment zu sehen, scharfzustellen und auf den Auslöser zu drücken.
Das Foto ist nicht spektakulär. Aber für mich ist es bedeutsam. Denn es zeigt, worum es bei Street-Photography geht – den entscheidenden Moment. The Decisive Moment. Seeing and Reacting.
Ab und zu veröffentliche ich eines meiner Bilder an dieser Stelle. Und erzähle etwas dazu, was mir wichtig erscheint. Es werden nicht immer die Fotos sein, die online am populärsten waren oder sind. Es können Scans von Bildern auf Film oder digitale Shots sein. Wie auch immer. Wer mag, kann sich gerne dazu äußern. Kommentare sind willkommen.
#10
Echt guter Moment! Und wirklich schön komponiert. Immer wieder faszinierend, wenn so ein Bild vor einem entsteht, oder?
Ja, unbedingt.
Irgendwas in meinem Kopf sieht das Bild, bevor ich es verstehe. Dann ist es schon im Kasten.